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Nachhaltigkeit ist ein Muss – doch wie messen wir es?

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Laut einem kürzlich veröffentlichten Papier des deutschen Rats für Nachhaltige Entwicklung, müssen sich künftig über 400 Tsd. kleine und mittelgroße Unternehmen in Deutschland vermehrt mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Es soll Transparenz zu Leistungen und Lieferketten geschaffen werden.

Ein Interview mit Matthias Lohneis, Regionalwert AG Franken

Es soll Transparenz zu Leistungen und Lieferketten geschaffen werden. Das klingt nach viel Aufwand?

Matthias Lohneis: Die gesetzlichen Anforderungen an Nachhaltigkeit sind in den letzten Jahren gestiegen, das stimmt. Und das ist auch gut so. Vielen ist inzwischen bewusst geworden, dass unser bisheriges Wirtschafts- und Preissystem klare negative Folgen für Mensch, Natur und unsere Zukunft bedeutet. Viele Unternehmen beginnen deswegen erst jetzt, insbesondere weil es entsprechende Auflagen gibt, sich damit auseinanderzusetzen und bestimmte Änderungen umzusetzen. Besonders stark bemerkbar ist es in der Landwirtschaft.

 

Wie kann man sich einen nachhaltig arbeitenden Betrieb vorstellen? Was bedeutet „nachhaltig“?

Matthias Lohneis:  In der Landwirtschaft würde das zum Beispiel bedeuten, auf chemisch-synthetische Dünge- und  Pflanzenschutzmittel zu verzichten, ein aktives Wassermanagement zu betreiben, gezielt in den Aufbau von Bodenfruchtbarkeit zu investieren oder weniger Tiere pro Hektar zu halten. Aber auch die regionale und soziale Komponente, wie z.B. regionale Lieferketten und faire Entlohnung haben einen wesentlichen Anteil.

 

 

Das klingt erstmal teuer?

Matthias Lohneis: Ja und nein. Die Folgekosten fallen bereits jetzt an und werden lediglich externalisiert, sprich auf die Steuerzahler, auf das Ausland und auf künftige Generationen abgewälzt. Wenn wir Verantwortung übernehmen wollen, dann bedeutet das insbesondere auch, dass wir nicht unsere Enkelgeneration „zur Kasse“ bitten, sondern umgekehrt – wir stehen in der Verantwortung, dass auch die nächsten Generationen noch gesunde Böden, eine hohe Biodiversität, saubere Umwelt und ausreichend Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Im Kontext einer drohender Freiheitseinschränkung für junge und zukünftige Generationen hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 29.04.2021 die Rechte eben dieser Generationen gestärkt: Der Staat steht durch unsere Verfassung in der Pflicht, die natürlichen Lebensgrundlagen auch für die künftigen Generationen zu schützen.

 

Die Implementierung von Nachhaltigkeit ist aber nur eine der aktuellen Herausforderungen für Unternehmen.

Matthias Lohneis: Der internationale Wettbewerb und der damit verbundenene Preisdruck zwingt viele landwirtschaftliche Betriebe zur Aufgabe, ganz besonderns die konventionell wirtschaftenden und kleinen Bauernhöfe. Mit dem Verschwinden der kleinbäuerlichen Strukturen steigen die Abhängigkeiten von einzelnen großen Akteuren im Markt. Vor dem Hintergrund ist die oft ablehnende Haltung von Landwirtinnen und Landwirten gegenüber höheren Umwelt- und Tierschutzauflagen aus kurzfristiger, finanzieller Hinsicht nicht unbegründet. Und dennoch ist ein deutlich höherer Nachhaltigkeitstandard - auch in der Landwirtschaft - unabdingbar.


Der Herausforderung, was den hohen Preisdruck auf dem internationalen Markt betrifft, begegnet die Regionalwert AG Franken mit dem Aufbau eines nachhaltigen, regionalen wie auch resilienten Wertschöpfungsraum, der kleine und mittlere Betriebe der Land- und Ernährungswirtschaft entlang der Wertschöpfungskette in einem Partnernetzwerk abbildet. Hierfür gibt die Regionalwert AG regelmäßig Bürgeraktien aus und investiert das eingeworbene Kapital in eben diese Betriebe, um ihre finanzielle Situation zu stärken und neue betriebliche Entwicklungsschritte finanziell zu ermöglichen. Denn oft fehlt der Zugang zum Kapital- und Kreditmarkt. Die Regionalwert-Partnerbetriebe verpflichten sich im Gegenzug sozial-ökologisch wie auch kooperativ innerhalb des Netzwerks zu wirtschaften, indem sie sich möglichst viele Produkte gegenseitig abnehmen und über ihren sozial-ökologischen Mehrwert berichten.

Mit dem eingeworbenen Kapital der akuellen Aktienausgabe möchte die Regionalwert AG Franken u.a. Projekte wie den Agroforstbetrieb Egelseer GbR unterstützen oder bei “EPOS Bio Partner FRANKEN” den Beteiligungsanteil erhöhen, um möglichst viele soziale Einrichtungen, wie Kindergärten und Schulen, hier in Franken mit regionalen Bio-Lebensmitteln versorgen zu können. Die EPOS Bio Partner Franken GmbH in Nürnberg wurde gemeinsam mit dem Bio-Großhändler EPOS ins Leben gerufen - ein erfahrener und kompetenter Partner im Bereich der Bio-Außer-Haus-Verpflegung.

Kurz und bündig:  Mit der Bürgeraktie haben Bürgerinnen und Bürgern in Franken die Chance, selbst aktiv zu werden und Verantwortung für eine lebenswerte Region zu übernehmen.

Rentabel und nachhaltig, das klingt nach zwei absoluten Gegensätzen.

Matthias Lohneis: Nicht unbedingt. Der erste wichtige Schritt ist die Bewertung der erbrachten Nachhaltigkeitsleistungen für Umwelt, Klima und Ernährungssicherheit, die bislang in der betriebslichen Erfolgsmessung monetär nur unzulänglich abgebildet sind. Aktuell schlagen sie als Aufwand voll zu Buche, wohingegen das erwirtschaftete sozial-ökologische Vermögen buchhalterisch nicht abgebildet wird.


Wir spechen in diesem Zusammenhang von “blinden Flecken” in den Bilanzen mit Blick auf die Ertrags- und Vermögenssituation der Betriebe - und schlussendlich auch der Finanzsituation, da es die Gemeinwohlleistungen der landwirtschaftlichen Betriebe im letzten Schritt finanziell zu honorieren gilt. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen. Was ist es uns „wert“, wenn das Wasser sauber bleibt oder eine hohe Artenvielfalt erhalten wird. Hier setzt die Regionalwert-Leistungsrechnung an.
Erst wenn Nachhaltigkeit objektiv und praxistauglich messbar ist, kann es als Steuerungsinstrument genutzt werden - nach innen als Managementtool und nach außen zum Zwecke der Berichterstattung gegenüber Stakeholdern jeglicher Art. Nicht zuletzt bekommt auch die Politik, deren selbst definierte Aufgabe es ist, globale Ressourcen zu erhalten, die nötigen vergleichbaren und überprüfbaren Daten, um eine Agrarwende möglich zu machen.
Eine dabei unumstößliche Notwendigkeit ist die nachhaltige Umstrukturierung der EU-Agrarsubventionen, d.h. stärkere leistungsbezogene anstatt flächenbezogene Zahlungen an die europäischen Landwirt:innen.

Wie kann man sich das vorstellen? Wie funktioniert so eine Bewertung?

Matthias Lohneis: Schadensvermeidung statt Schadensbehebung lautet die Devise. Anstatt entstandende Schäden zu beziffern, errechnet das Tool die positiven Leistungen der Landwirt:innen und Landwirte - in anderen Worten: deren Aufwände. Anhand von rund 300 Leistungskennzahlen aus den Bereichen Ökologie, Soziales und Regionalökonomie kann die Regionalwert-Leistungsrechnung den finanziellen Wert jeder einzelnen Maßnahme errechnen und bezogen auf die verschiedenen Kategorien wie “Bodenfruchbarkeit”, “Betrieb in der Gesellschaft” oder “Regionale Wirtschaftskreisläufe” in Euro ausweisen. So werden die Nachhaltigkeitsleistungen für alle wirtschaftlichen, polititschen und aufsichtsrechtlichen Akteure sichtbar - siehe Abbildung. Zusätzlich werden neben dem errechneten Nachhaltigkeitsgrad in Prozent, die Nachhaltigkeitsleistungen “ingesamt” sowie “flächenbezogen” (je Hektar) ausgewiesen.

Für welche Betriebe eignet sich die Regionalwert-Leistungsrechnung?

Matthias Lohneis: Im Grunde die komplette Lebensmittelerzeugung. Das beinhaltet Ackerbau, Obst- und Gemüsebau, Saatgutvermehrung, Ackerfutterbau, Dauergrünlandbewirtschaftung, Weinbau und natürlich Tierhaltung.

 

 

Wie sieht es außerhalb der Landwirtschaft entlang der Lieferkette aus, beispielsweise in Restaurants oder verarbeitenden Betrieben?

Matthias Lohneis: Es gibt viele weitere Anwendungsbereiche, wo es hilfreich wäre, nachhaltiges Wirtschaften auf Zahlen herunterzubrechen. Um zukünftig die Regionalwert-Leistungrechnung auch für die Wertschöpfungsstufen “Verarbeitung” und “Vertrieb” innerhalb der Land- und Ernährungswirtschaft anbieten zukönnen, wird gerade akribisch in Zusammenarbeit mit Wissenschaft, Politik und v.a. Praxisbetrieben an der Konzipierung neuer Leistungskennzahlen gearbeitet.


Als wichtiger Partner ist hier das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. (KTBL) zu nennen. KTBL entwickelt und veröffentlicht betriebswirtschaftliche Kennzahlen und Standards zur pflanzlichen und tierischen Erzeugung sowie zur Verarbeitung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Diesbezüglich nimmt das Kuratorium eine wesentliche Beratungsaufgabe gegenüber dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wahr.

 

Eine nüchterne Bilanz sagt also mehr darüber aus, wie ernst ein Unternehmen den Klimaschutz nimmt, als ein hübscher Umweltbericht. Was muss sich hier ändern?

Matthias Lohneis: Es braucht eine erweiterte, vereinheitlichte Berichtspflicht, um Nachhaltigkeit in den Betriebe besser bewerten zu können. Wenn es nach den Zielen der EU geht, müssen Unternehmen dieser Berichtspflicht künftig auch nachkommen. Durch eine stärkere Quantifizierung der Berichtsinhalte im Zuge von Kennziffern sollen außerdem die Messbarkeit und Vergleichbarkeit der Angaben gestärkt werden. Nur so kann eine nachhaltige wirtschaftliche Transformation gelingen. Regionalwert sieht sich in diesem Bereich durch die jahrelange Grundlagenforschung und dem daraus resultierenden Online Tool der Regionalwert-Leistungsrechnung bestens aufgestellt.


Unter Einbeziehung von Interessengruppen und Expert:innen entwickelt die EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group) Rechnungslegungsstandards, die es im Anschluss von der EU-Kommission zu verabschieden gilt. Der gemeinnützige Think Tank Regionalwert Research GmbH ist hier als Mitglied der Taskforce mit von der Partie, um an der Entwicklung von sektorspezifischen Nachhaltigkeitsstandards mitzuwirken und zu unterstützen. Hier beim Think Tank für Nachhaltiges Wirtschaften ruht der Schatz in Form von Wissen, der von den Regionalwert AGs über 15 Jahren konzeptionell wie praktisch gesammelt und erprobt wurde.

Matthias Lohneis

Matthias Lohneis ist ein Kind des fränkischen Juras. Das Thema Nachhaltigkeit wurde ihm sprichwörtlich in die Wiege gelegt. Er durfte bereits früh am elterlichen Biolandhof an der Bewirtschaftung teilhaben und erleben. Als ausgebildeter Kaufmann für Versicherungen und Finanzen, folgte er später bewusst dem Ruf der Nachhaltigkeit - diesmal auf akademischem Wege.

Nach seinem Freiwilligendienst in Uganda, schloss er seinen Bachelor in Betriebswirtschaft und nur wenige Jahre später, den Master der Europäischen Volkswirtschaft erfolgreich ab. In dieser Zeit kam er erstmals in Kontakt mit der Philosophie der Regionalwert und übernahm fortan die Durchführung und Abwicklung von Kapitalerhöhungen bei der Regionalwert AG Freiburg.

Zurück in seiner alten Heimat, hat Matthias schnell seine Bestimmung gefunden. Neben seiner Tätigkeit als Finanzprojektmanager bei der eco eco AG, entlastet er seit Juni 2023 den Vorstand der Regionalwert AG Franken mit seiner umfangreichen Erfahrung in der Finanzierung von Nachhaltigkeitsprojekten sowie der Entwicklung ganzheitlicher Marketing- und Kooperationsstrategien.